Obwohl Frauen in Sachen Ausbildung und Berufsqualifikation in den vergangenen Jahrzehnten enorm aufgeholt haben, schaffen es immer noch wenige an die Spitze der Unternehmenshierarchie. Zwar konnten Wissenschaftler wichtige Impulse zur Debatte rund um Diversity beitragen, indem sie die Relevanz von Mitarbeitervielfalt für den Unternehmenserfolg empirisch belegten, dennoch fehlt es immer noch an konkreten Handlungsempfehlungen, wie genau der Frauenanteil in Führungspositionen erhöht werden kann.
Dieser Beitrag stellt potentiellen Ursachen vor und erklärt wie Unternehmen dank der Digitalisierung im HR-Bereich unternehmensspezifische Hürden in der Karriereentwicklung von Frauen eigenständig aufdecken und so konkrete Verbesserungen umsetzen können.
Wie HR-Daten Diversity Hürden aufdecken können
Die Suche nach möglichen Ursachen für den Mangel an Frauen in Führungspositionen ist kompliziert, da viele verschiedene Faktoren in Frage kommen. Als häufige Ursachen für die Unterrepräsentation von Frauen nennt die Ökonomin Marianne Bertrand in ihrer neuen Publikation „The Glass Ceiling“ beispielsweise Geschlechterstereotypen, unterschiedliche Vorlieben für Konkurrenzkampf als auch Kinderbetreuung. So haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Geschlechterstereotypen vor allem in Situationen, in denen unter Zeitdruck zwischen sehr ähnlichen Kandidaten für eine offene Position entschieden werden muss, eine große Rolle spielen. Gerade im Bereich des Recruiting kann unbewusstes Stereotypverhalten zur Benachteiligung von Minderheitengruppen führen.
Verschiedene Laborexperimenten zu Geschlechterunterschieden in Bezug auf Risikoverhalten und Konkurrenzkampf zeigen zudem, dass Frauen im Durchschnitt risikoscheuer sind als Männer. Außerdem scheinen Frauen eine geringere Vorliebe für Situationen mit erhöhtem Konkurrenzkampf zu besitzen. Dies wird von Wissenschaftlern als mögliche Ursache für die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen interpretiert, da diese oft mit mehr Verantwortung und erhöhtem Konkurrenzdruck einhergehen. Unklar ist jedoch wie sich Erkenntnisse aus diesen Experimenten, die Konkurrenzkampf im Arbeitsleben durch vereinfachte Aufgaben im Labor abbilden, auf die Realität übertragen lassen.
Auch die Betreuung von Kindern stellt einen potentiellen Faktor für die Unterrepräsentation von Frauen dar. Eine aktuelle Studie von Lucifora, Meurs und Villar, die anhand von Personaldaten eines französischen Unternehmens untersucht, wie sich Kinder auf die Karriereentwicklung auswirken, belegt, dass die Geburt eines Kindes für Mütter zu einer starken Reduktion der Arbeitszeit und so zum Ausbleiben von Beförderungen und Bonuszahlungen führt. Die Wissenschaftler finden dabei keinerlei Effekt für Väter.
Während solche allgemeingültigen Forschungsergebnisse hilfreiche Denkanstöße bieten, bleibt unklar welche Faktoren im spezifischen Unternehmenskontext ausschlaggebend sind. Ohne weitere Details zu konkreten Ursachen, ist es jedoch oft unmöglich Handlungsempfehlungen aufzustellen. Die gute Nachricht ist, dass viele dieser potentiellen Ursachen mit unternehmensinternen Personaldaten überprüft werden können. Je nach Datenlage des Unternehmens können verschiedene zusammenfassende Statistiken aufgestellt werden, die wiedergeben wie sich die Repräsentation von Frauen zwischen den Hierarchiestufen des Unternehmens verändert. Wichtige Prüfbereiche in Bezug auf Diversity Hürden innerhalb des Unternehmens sind Recruting, Einstellung, Performance Evaluation, Weiterbildung und Beförderungen. Auch die Analyse von Team- und Aufgabenzuteilung und vom systematischen Abgang von Mitarbeitern kann hilfreiche Einblicke bieten.
Wichtige Fragen, deren Beantwortung mithilfe von Personaldaten auf Diversity Hürden hinweisen können, sind beispielsweise:
- Gibt es einschlägige Veränderungen im Frauenanteil zwischen Bewerbung, Einstellung und zukünftigen Karriereschritten?
- Unterscheiden sich Frauenanteile zwischen verschiedenen Auswahlpraktiken (e.g. Assessment Center in Gruppen vs. Einzelinterview), die auf den potentiellen Einfluss von Stereotypen hinweisen könnten?
- Werden Merkmale für Auswahl- und Evaluierungsprozesse genutzt, die systematische Unterschiede zwischen Frauen und Männern aufweisen (z.B. Arbeitszeugnisse, die klassisch männliche Eigenschaften betonen)?
Zeigt sich bei einer solchen Analyse beispielsweise, dass es trotz vieler weiblicher Bewerber nur wenige Frauen durch das Assessment Center schaffen, können potentielle Verbesserungsmaßnahmen bewusst auf die relevante Phase der Bewerberauswahl fokussiert werden. So dient eine solche akkurate Messung des Status quo als erster wichtiger Schritt, um wichtige Faktoren aufzuspüren. Sind die Hürden in der Unternehmenshierarchie identifiziert, bieten kleine Veränderungen des Verhaltensdesigns großes Verbesserungspotential.
Mit kleinen Veränderungen des Verhaltensdesigns ans Ziel
Wie genau geringfüge Veränderungen genutzt werden können, um Karrierehürden für Frauen abzubauen, zeigt Iris Bohnet von der Havard Business School in ihrer Forschung. In einem Laborexperiment mit fast 700 Teilnehmern untersucht sie wie Stereotypverhalten in Bezug auf Einstellung und Beförderung durch eine Veränderung des Evaluierungsdesigns reduziert werden können.
Teilnehmer des Experiments, die die Rolle der Mitarbeiter übernahmen, wurden in Bezug auf Ihre Mathe- oder Sprachkenntnisse getestet. Die Arbeitgeber im Experiment mussten darauf hin anhand der Testergebnisse und des Geschlechts des Kandidaten entscheiden, welchen Mitarbeiter sie am liebsten einstellen würden. Dabei werden zwei unterschiedliche Evaluierungstechniken für Kandidaten benutzt. Der erste Ansatz spiegelt eine separate Evaluierung wider, bei der dem Arbeitgeber sowohl das Testergebnis und das Geschlecht eines Kandidaten als auch der Durchschnitt der Testergebnisse aller Kandidaten mitgeteilt werden. Daraufhin muss der Arbeitgeber entscheiden, ob die präsentierte Person ausgewählten werden soll. Beim zweiten Ansatz erfolgt eine gemeinsame Evaluierung, bei der der Arbeitgeber sowohl einen weiblichen als auch einen männlichen Kandidaten präsentiert bekommt und sich für einen Kandidaten entscheiden muss.
Das Experiment zeigt, dass Frauen bei der separaten Evaluierungsmethode eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit besitzen ausgewählt zu werden ist, obwohl Frauen und Männer im Durchschnitt gleich Testergebnisse erzielten. Bohnet interpretiert dieses Ergebnis als Indiz für Stereotypverhalten bei der Auswahlentscheidung. Werden Kandidaten dagegen gemeinsam evaluiert, spielt das Geschlecht für die Auswahl keine Rolle, sondern lediglich das erzielte Testergebnis. Damit zeigen die Wissenschaftler, dass kleine Veränderungen wie der Wechsel von separater zu gemeinsamer Evaluierung, das Potential bieten, Entscheidungsträger zu einem Verhalten anzustoßen, das sich stärker an tatsächlicher Leistung und weniger an Stereotypen orientiert.
Sobald Unternehmen konkrete Diversity Hürden anhand von Personaldaten identifiziert haben, können solche Einsichten aus der Verhaltensforschung hilfreiche Impulse für mögliche Veränderungen bieten.
Von Ingrid Hägele und Florian Englmaier
Ingrid Hägele forscht im Rahmen ihrer Promotion in Economics an der University of
California, Berkeley. Ihre aktuellen Forschungsprojekte beschäftigen sich vor allem mit der Frage, wie Mitarbeitervielfalt in Unternehmen durch kleine Veränderungen von HR-Prozessen gefördert werden kann. Als Data Scientist kombiniert sie dabei Erkenntnisse aus der Sozialforschung mit modernen Analysetechniken wie Data Mining und Text Analysis Tools.
Literatur
Marianne Bertrand, 2017. “The Glass Ceiling“ Coase Lecture, London School of Economics, March 2017
Iris Bohnet & Alexandra Van Geen & Max H. Bazerman, 2016. „When Performance Trumps Gender Bias. Joint Versus Separate Evaluation“. Management Science , 62 (5), 1225-1234.
Claudio Lucifora, Dominique Meurs & Elena Villar, 2017. “Earnings and Careers in an Internal Labor Market. An Event Study Approach.” Working Paper.